Lobbyisten des Rechts
Eine Kollektivbiographie euroatlantischer Völkerrechtler und émigré lawyers im 20. Jahrhundert
Bearbeiterin
PD Dr. Annette Weinke
Kurzbeschreibung
Man kann das moderne Völkerrecht auch als Projekt und Produkt einer Gruppe euroatlantischer Rechtswissenschaftler und -praktiker betrachten, die seit dem späten 19. Jahrhundert und verstärkt nach dem Ersten Weltkrieg als Proponenten, Protagonisten und Historiographen einer weltumspannenden Rechtsordnung in Erscheinung traten. Stärker als andere Aspekte der juristischen Zeitgeschichte ist die Völkerrechtsgeschichtsschreibung daher bis heute von den jeweiligen Erfahrungen, Denkmustern und Wahrnehmungen der juristischen Akteure geprägt. Verstärkend wirkten dabei die traditionelle Anbindung der Völkerrechtswissenschaft an nationale, internationale und supranationale Institutionen und die Entwicklungsgeschichte weltweit agierender NGOs, die sich durch homogene Milieus und enge persönliche Netzwerke auszeichnen. Trotz des derzeit zu verzeichnenden Booms an historischen Spezialstudien zur Geschichte der Menschenrechte hat sich die Zeitgeschichtsforschung bislang kaum für diese Akteursgruppe interessiert.
Dr. Annette Weinke nimmt in ihrem Forschungsvorhaben jenen Kreis emigrierter euroatlantischer Juristen, Wissenschaftler und Aktivisten in den Blick, die während, vor allem aber nach Ende des Zweiten Weltkriegs
in verschiedenen institutionellen Zusammenhängen an der Weiterentwicklung des Völkerrechts mitwirkten. Dabei geht es ihr um die Durchbrechung jener binären Logiken, die bis heute ein Merkmal der Völkerrechtsgeschichte geblieben sind. Ausgangspunkt ihrer Untersuchung ist vielmehr, Wissenschaft und politische Praxis, staatliches und nichtstaatliches Engagement sowie nicht zuletzt nationale und grenzüberschreitende Aktivitäten bei einer Gruppe zusammenzudenken, für die der stete Rollenwechsel und das Spiel mit unterschiedlichen Rollen als konstitutiv gelten kann.
Die Erforschung dieser Akteursgruppe kann überdies dazu beitragen, eine in der Völkerrechtsgeschichte nach wie vor wirkmächtige Interpretation zu überwinden, die als Relikt des Kalten Krieges und der Abgrenzungsgefechte zwischen verschiedenen „Schulen“ als nicht mehr zeitgemäß erscheint. Mit ihrer Kollektivbiographie euroatlantischer Völkerrechtler und émigré lawyers im 20. Jahrhundert möchte Weinke daher auch zeigen, dass der kulturgeschichtlich geschärfte Blick auf Konversionen und Anpassungsleistungen über die Zeitenwenden von 1945 und 1989 hinweg helfen kann, die Völkerrechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts wieder stärker als eine Einheit zu begreifen.