Prof. Dr. Henry Rousso
(Paris)
Die europäische Gedächtnisgeschichte des Zweiten Weltkriegs und insbesondere ihre französische Ausprägung stehen im Mittelpunkt der Forschungen von Henry Rousso. Nach frühen Arbeiten über die Politik des Vichy-Regimes wandte er sich alsbald Fragen nach der kollektiven Erinnerung und dem Umgang mit der Vergangenheit zu.
Professor Rousso, Jahrgang 1954, lehrt an der Universität Paris-Ouest-Nanterre La Défense und an der Elitehochschule Sciences Po, dem angesehenen Pariser Institut für politische Studien. International bekannt wurde er durch seine auch ins Englische übersetzten Bücher über Kollaboration und Widerstand während der deutschen Besatzungsherrschaft in Frankreich: Le Syndrome de Vichy de 1944 à nos jours (Paris 1990, zuerst 1987), Vichy, un passé qui ne passe pas (mit Eric Conan, Paris 1996, zuerst 1994) und Vichy. L’Evénement, la mémoire, l’histoire (Paris 2001); soeben auf Deutsch erschienen ist von Henry Rousso Vichy: Frankreich unter deutscher Besatzung 1940-1944 (München 2009).
Sein aktuelles Forschungsprojekt folgt einem interdisziplinären Ansatz, fragt nach dem Verhältnis von Geschichte, Erinnerung und Recht und behandelt auch die Erkenntnistheorie der Zeitgeschichtsschreibung. Henry Rousso schaltete sich Ende der neunziger Jahre in die öffentliche Debatte um den weltweit beachteten Kriegsverbrecherprozess gegen Maurice Papon ein; in geschichtspolitischen Kontroversen spielt er regelmäßig eine wichtige Rolle, zuletzt im Zusammenhang mit dem von ihm heftig kritisierten Vorhaben des französischen Staatspräsidenten, Grundschüler mit Patenschaften für deportierte jüdische Kinder zu betrauen.
Henry Rousso arbeitete nach seinem Geschichtsstudium am Centre national de la recherche scientifique (CNRS) in Paris und war maßgeblich am Aufbau des dort 1980 gegründeten Institut d’histoire du temps présent (IHTP) beteiligt. Er leitete das Institut von 1994 bis 2005. Zu den zahlreichen Gremien, denen er vorsaß, zählt die vom französischen Bildungsministerium eingerichtete Kommission zur Bekämpfung von Rassismus und Holocaust-Leugnung an der Universität Jean Moulin – Lyon III. Forschungsaufenthalte und Gastprofessuren führten ihn an die Harvard University, die Bosch-Stiftung nach München, die New York University, das Dartmouth College, das Center for Advanced Holocaust Studies in Washington D.C. und an die Texas A & M University nahe Houston. Henry Rousso ist Mitherausgeber vieler Fachzeitschriften, darunter Vingtième Siècle und History & Memory und gehört zahlreichen wissenschaftlichen Gremien in Frankreich und anderen Ländern an, darunter dem Kuratorium der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora und dem Internationalen Beirat des Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Im Sommersemester 2009 war Henry Rousso Gastprofessor am Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts. Unter dem Titel Battlefields of Memory. French Controversies over the Past in an International Context hielt er am 20. April 2009 einen öffentlichen Vortrag in der Aula der Friedrich-Schiller-Universität.